01_JUD_DOK

Der Aufstand der Zünfte gegen den Rat der Stadt Frankfurt, der nach der Kaiserwahl von Matthias 1612 an der Frage der Bestätigung von Rechten entflammt war, hatte sich schließlich gegen die Juden als dem wehrlosesten Teil der Stadtgesellschaft gerichtet und gipfelte in der Erstürmung und Plünderung der Judengasse am 22. August 1614. Die Vertreibung der Juden aus ihrer Gasse und der Stadt dauerte 18 Monate, vom 23. August 1614 bis zur Wiedereinführung am 28.2.1616. An diesem Tag wurden Vinzenz Fettmilch und zwei weitere Aufrührer hingerichtet. Weitere Täter wurden am Gallustor, durch das die Juden nun unter kaiserlichem Schutz feierlich wieder in die Stadt einzogen, öffentlich gestäupt. Dabei wurden sie Zeugen der Strafmaßnahmen an den Aufrührern. Bereits im August 1615 waren 40 Mitglieder der jüdischen Gemeinde zurück in die Judengasse eingeladen worden, um die Rückkehr der Gemeinde vorzubereiten und die geplünderten und zerstörten Häuser herzurichten. Sachwerte, auch Gold und Silber, wurden, soweit es möglich war, an einer öffentlichen Sammelstelle zusammengetragen und den Besitzern zurückerstattet.

Schilderung des in der Radierung von Georg Keller 1614 dargestellten Ereignisses

“Mit der Säuberung der Gasse von Gesindel glaubte der Rat [der Stadt Frankfurt] genug [gegen den Aufrührer Fettmilch] getan zu haben und unternahm keine weiteren Schritte, außer daß er vor den Toren eine Wache aufstellte, die verhindern sollte, daß von neuem Pöbelhaufen eindrängen, um Nachlese zu halten. So sahen sich die Juden der Willkür Fettmilchs preisgegeben. Er und Kantor trieben alle die, die sie noch in der Stadt aufspüren konnten, „wie das liebe Vieh“ vor sich her nach dem von Wachen umgebenen Friedhof, wo nun die unglückliche Gemeinde fast vollzählig versammelt war. […] Endlich erfuhren sie, was man mit ihnen im Schilde führte: Fettmilch sagte ihnen im Namen des Ausschusses [der Aufständischen] den Schutz auf und gebot ihnen, die Stadt zu verlassen, da die Bürgerschaft sie nicht länger unter sich dulden wolle. […] Um ein Uhr nachmittags begann der Abzug. Der Rat, der zu allem Geschehenen durch Stillschweigen seine Einwilligung gegeben hatte, stellte zur Aufrechterhaltung der Ordnung acht Musketiere vor die Judengasse. In langen Scharen — man zählte 1380 Personen — zogen die Juden, zu beiden Seiten von bewaffneten Bürgern geleitet, durch das Fischerpförtchen an den Main. Den Rest ihrer Habe, für den sie einen äußerst hohen Ausfuhrzoll zahlen mussten, schleppten sie mit sich oder ließen ihn für reichlichen Lohn zum Ufer tragen; manche gaben auch das aus der Plünderung Gerettete befreundeten Christen in Verwahrung. Unter Weinen und Wehklagen schieden die Juden von dem Orte, wo sie seit vielen Generationen gelebt hatten. Die blühendste und angesehenste Gemeinde Deutschlands schien für immer vernichtet zu sein.” (Isidor Kracauer, 1925)

Von Frankfurt aus war der Funke des Aufstandes auf Worms übergesprungen und richtete sich dort ebenfalls gegen die Juden. Die Wormser Austreibung mit einer gleich großen Kopfzahl von 1400 Menschen dauerte allerdings nur 8 Monate, vom 10.4.1615 (Ostern), bis Januar 1616. Sie hatte aber eine besondere Auswirkung auf rechtsrheinische Gebiete, in denen Familien Schutz gefunden hatten, und die nicht mehr zurück gingen. Nach dem Tod des Wormser Rabbiners während der Vertreibung und der folgenden Anlage eines großzügigen Begräbnisplatzes im hessischen Alsbach fanden auch Juden, die sich im und nach dem unmittelbar folgenden Dreißigjährigen Krieg in der Landgrafschaft Hessen und in den kurmainzischen Enklaven niederließen, einen wichtigen Fixpunkt in der Diaspora. Vor dem Krieg war die kurmainzische Bergstraße an die Pfalz verpfändet gewesen. Dort waren 200 Jahre keine Juden geduldet. Nun wurde es zur Keimzelle des Landjudentums in der Region — eine mittelbare Folge des Fettmilch Aufstandes.

Text: Thilo Figaj, 2022

The uprising of the guilds against the city council of Frankfurt, which had flared up after the imperial election of Matthias in 1612 over the question of the confirmation of rights, had ultimately been directed against the Jews as the most defenseless part of the city’s society and culminated in the storming and looting of the Judengasse on August 22, 1614. The expulsion of the Jews from their alley and the city lasted 18 months, from August 23, 1614, until their reinstatement on February 28, 1616. On that day, Vincent Fettmilch and two other rebels were executed. Other perpetrators were publicly punished at the Gallus Gate, through which the Jews now solemnly re-entered the city under imperial protection. They witnessed the punitive measures taken against the rebels. As early as August 1615, 40 members of the Jewish community had been invited back to Judengasse to prepare for the return of the community and to repair the looted and destroyed houses. Material assets, including gold and silver, were recovered as far as possible at a public collection point and returned to the owners.

Historical account of the event depicted in the 1614 etching by Georg Keller:

“With the cleansing of the Gasse from riffraff, the Council [of the city of Frankfurt] thought it had done enough [against Fettmilch and other rebels] and took no further steps, except to set up a guard at the gates to prevent mobs from pushing in anew to glean. Thus the Jews found themselves at the mercy of Fettmilch. He and Kantor drove all those whom they could still find in the city “like cattle” before them to the cemetery surrounded by guards, where the unfortunate community was now almost completely assembled. […] Finally they learned what was being done to them: Fettmilch, in the name of the [rebels] committee, ordered them to leave the city, since the citizens no longer wished to tolerate them among themselves. […] At one o’clock in the afternoon the exodus began. The council, which had given its consent to everything that had happened by keeping silent, placed eight musketeers in front of the Judengasse to maintain order. In long crowds – 1380 people were counted – the Jews, escorted on both sides by armed citizens, marched through the Fischerpförtchen to the Main [river]. The rest of their possessions, for which they had to pay an extremely high export toll, they dragged with them or had them carried to the bank for a generous wage; some also gave what they had saved from the looting to friendly Christians for safekeeping. Germany’s most flourishing and respected community seemed to have been destroyed forever.” (Isidor Kracauer, 1925)

From Frankfurt, the spark of the uprising had spread to Worms, where it was also directed against the Jews. The Worms expulsion with an equal head count of 1400 people lasted only 8 months, from April 10, 1615 (Easter), to January 1616. However, it had a particular impact on areas on the right bank of the Rhine, where families had found shelter and did not return. After the death of the Worms rabbi during the expulsion and the subsequent establishment of a spacious cemetery in Alsbach, Hesse, Jews who had settled in the Landgraviate of Hesse and in the Electoral-Mainzian enclaves during and after the following Thirty Years’ War found an important foothold in the Diaspora. Before the war, the Electoral-Mainzian Bergstrasse had been mortgaged to the Palatinate. Jews had not been tolerated there for 200 years. Now it became the nucleus of rural Jewry in the region – an indirect consequence of the Fettmilch uprising.

Text: Thilo Figaj, 2022