Vortrag von Thilo Figaj am 09.04.2018 um 19 Uhr im Theater Sapperlot in Lorsch
Die jüdischen Familien aus Lorsch
Wer den Kulturverlust ermessen will, der die Ausrottung des jüdischen Teils der deutschen Bevölkerung durch den Nationalsozialismus bedeutet, darf die Geschichte der Juden nicht auf ihre letzte Generation in Deutschland und den Holocaust beschränken. Seit über tausend Jahren haben Juden die deutsche Gesellschaft entscheidend mitgeprägt, zuerst in den großen Städten und an den Handelsrouten, seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges auch in den ländlichen Gemeinden. Vor allem das hessische Landjudentum entwickelte sich in der Zeit der Aufklärung prächtig und mit ihm die bäuerlichen Gemeinden in denen Juden lebten.
Lorsch bot ganz besondere Voraussetzungen für ein halbes Dutzend jüdischer Familien. Bedingt durch die Grenzlage im Mainzer Kirchenstaat organisierten die Lorscher einen politischen Verband mit ihren Nachbargemeinden, der allen die Nutzung des Alsbacher Friedhofs auf hessischem Gebiet erlauben würde. Schon früh erkannten sie, dass die Lorscher Spezialität Tabak ihnen eine weit bessere Verdienstquelle bescheren konnte, als es der gestattete Handel mit Vieh oder gewöhnlichen Feldfrüchten bis dahin erlaubte. Das Fermentieren des Tabaks in eigenen Scheunen war der erste Teil einer neuen Wertschöpfungskette die bis zur Zigarrenherstellung reichte. Die erste Lorscher Fabrik war dann auch eine jüdische Unternehmung. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Landgemeinden zu eng für die erfolgreich nach Wohlstand strebenden Juden, die Eisenbahn und der industrielle Fortschritt zogen viele zurück in die großen Städte, nach Frankfurt und Mannheim oder gar bis in die Vereinigten Staaten. Die in Deutschland erworbenen Fähigkeiten brachten sie in ihre neue Heimat mit.
Ihre in Lorsch zurückgebliebenen Familien spezialisierten sich weiter und wurden zu den wichtigen Versorgern ihrer Gemeinde. Mit ihren christlichen Nachbarn lebten sie in bestem Einvernehmen. Sie fühlten sich als Deutsche, etwas anderes wäre ihnen nie in den Sinn gekommen. Der latent vorhandene Antisemitismus war noch weit weg, in den Städten. Nach der Machtergreifung wurden die entfernten Verwandten in den USA zu Rettungs- und Fluchtpunkten. Nicht alle schafften die Flucht; vierzig Lorscher Jüdinnen und Juden wurden deportiert und ermordet.
Thilo Figaj vom Heimat- und Kulturverein Lorsch erzählt die Geschichte der Lorscher Juden am Beispiel der Familien Rohrheimer, Mainzer, Krakauer, Morgenthau, Herzberger und Lorch. Der bebilderte Vortrag dauert etwa 60 Minuten.
Bildunterschrift:
Die in Lorsch geborenen Brüder Bernhard (3. v.l., 1833-1895) und Jakob Rohrheimer (4. v.l., 1829-1891) im Jahre 1880 vor ihrem Zigarrengeschäft in Cleveland, Ohio.
Im Schaufenster sind aufgehängte Tabakbündel zu erkennen. Die Zigarrenfabrik Nr. 9 der Rohrheimers war die größte und bekannteste der Stadt.
Foto: Western Reserve Historical Society, Cleveland, Ohio
Text: Thilo Figaj