11.03.2015 – An der Wurzel der Lorscher Geschichte

Ein Artikel des Starkenburger Echos vom 11.03.2015

150311 An der Wurzel der Lorscher Geschichte HKV

Kultur – Reisegruppe schaut sich in Metz und Gorze um und erfährt Spannendes und Schreckliches
„Unsere Fahrt führt uns gewissermaßen an die Wurzeln des Klosters und der Stadt Lorsch.“ Besser als der Lorscher Pfarrer Hermann Differenz hätte man den Tagesausflug von 50 Lorschern nach Lothringen am vergangenen Samstag kaum zusammenfassen können.

LOTHRINGEN/LORSCH. Die katholische Pfarrgemeinde Sankt Nazarius und der Heimat- und Kulturverein hatten die Fahrt gemeinsam organisiert, deren Ziele von erstrangiger religiöser wie historischer Bedeutung für Lorsch sind: Gorze, von wo die ersten Mönche des 764 gegründeten Klosters gekommen waren, und Metz, dessen Bischof Chrodegang Gründungsabt in Lorsch war.
Mit Gorze, einem heute etwas gottverlassen wirkenden Dorf südwestlich der Stadt Metz, verbindet die Lorscher auch ein Phantomschmerz: „Es ist eine Geschichte im Geist“, sagte Stefan Woltersdorff am Herkunftsort der ersten Lorscher Kloster-Insassen. Der Reisebuchautor und exzellente Führer meinte den Umstand, dass vom Kloster Gorze – es wurde 16 Jahre vor Lorsch gegründet – rein gar nichts erhalten geblieben ist. Müssen Besucher sich in Lorsch ihr Kloster im Kopf aus Resten zusammenbauen, ist in Gorze noch mehr Fantasie gefragt.
Einzig die im Hochmittelalter errichtete, in späteren Jahren stark veränderte Laien-Kirche erinnert daran, dass das noch immer selbstständige Dorf mit heute 1200 Einwohnern einst geistiges Zentrum und sogar Ausgangspunkt einer großen Klosterreform war.
Die Aufstiege von Lorsch und Gorze hatten jeweils etwas mit Bischof Chrodegang von Metz zu tun – und mit der Überführung von Heiligenreliquien aus Rom: Sankt Nazarius für Lorsch, Sankt Gorgonius für Gorze.
Ein Gefäß mit der Aufschrift „Lorsch“
Eine Schädelreliquie von Chrodegang gehört wiederum zum Domschatz von Metz. Domherr Gabriel Normand stellte sie den Gästen bei einer Andacht in der Krypta vor und sorgte für Erstaunen: Das von einem Kölner Künstler geschaffene Gefäß für den Knochensplitter trägt unter anderem die Aufschrift „Lorsch“, steht also für eines der Meisterwerke Chrodegangs; dieser hatte sich auch als Liturgiereformer und Verfasser einer Mönchs-Regel einen Namen gemacht und ist sehr zu recht in einem Lorscher Straßennamen verewigt.
Mehr als ein Dutzend Mönche hatte er im achten Jahrhundert nach Lorsch beordert; er selbst war dort eher symbolisch als leiblich erster Abt und übertrug die Würde bald an seinen Bruder Gundeland. Chrodegang starb am 6. März 766, der 6. März ist bis heute konfessionsübergreifend sein Gedenktag.
In der Metzer Kathedrale ist dem aus dem heutigen Belgien stammenden Heiligen, dessen Name ihn als Waffenträger ausweist, auch ein Fenster im Obergaden des Mittelschiffes gewidmet. Nur eine von vielen Sehenswürdigkeiten des Doms, der unter anderem wegen seiner sagenhaften 6500 Quadratmeter Fensterfläche zu den großen Attraktionen der französischen Kathedralgotik gehört.
Neben der pracht- und ruhmvollen mittelalterlichen Zeit lernten die Lorscher auch die dunklen Seiten der Lothringer Geschichte kennen, die durchweg deutsche und französische Aspekte hatte. Juden und Hugenotten hatten jeweils bis zu Vertreibung und Vernichtung hier ein Zentrum, wovon eine heute wieder genutzte Synagoge und der Temple Neuf an der Mosel zeugen. Und es floss zumindest zweimal jede Menge Blut, auch wenn das große Gemetzel zwischen den Jahren 1939 und 1945 die Region nicht mit voller Wucht traf.
Dafür aber der deutsch-französische Krieg 1870 und ab 1914 der Erste Weltkrieg. Beide schufen etliche Schlachtfelder ganz in der Nähe von Gorze und Metz, die in deutscher Zeit immer einen Sonderstatus als Grenzstädte hatten. Es mussten aber erst die Nationalsozialisten kommen, um aus dem uralten Namen „Gorze“ und dessen germanischer Form „Gorz“ ein dummdeutsches „Gorschen“ zu machen.
Dass das in Chrodegang verkörperte europäische Denken derzeit an der Stelle einer Erbfeindschaft steht, mag auch die Lorscher Besucher getröstet haben.
Text: Starkenburger Echo
Bild: Heimat- und Kulturverein Lorsch