27.11.2016 – Aufruf zu Leihgaben für die Ausstellung

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Familie Oppenheimer aus Lorsch


Leopold Oppenheimer wurde am 27.8.1873 als Sohn von Isaac und Bettchen Oppenheimer in Fränkisch-Crumbach geboren. Er war schon fast 39 Jahre alt, als er Antonia Rosalie Mayer, genannt Toni, heiratete. Sie stammte aus Ober-Olm bei Mainz, wo sie am 4.3.1880 geboren worden war. Viele Jahre später erinnerte ein ehemaliger Nachbar, dass das Paar in Lorsch in der Karlstr.1 lebte und das ursprünglich sehr kleine Haus erweitert habe. Die Baumaßnahme wurde im Jahr 1913 durchgeführt, als der erste Sohn Ernst geboren wurde, dem Richard (geboren am 03.7.1914) und Alfred (geboren am 11.8.1917) folgten. Mit im Haus lebten auch Leopolds Schwestern Bertha und Hannchen, die mit Ellenwaren, Wolle und Wollwaren handelten.

Leopold Oppenheimer verdiente seinen Lebensunterhalt als Hausierer. Im Erdgeschoß des Hauses hatte er eine Art Laden eingerichtet, der allerdings keine Schaufenster besaß. Die Waren lagerten in Regalen, die an den Wänden entlang aufgestellt worden waren. Leopold Oppenheimer handelte mit Textilwaren, Häuten und Fellen und war vor allem in der Umgebung von Lorsch – in Zell, Unter-Hambach, Kirchhausen und Hüttenfeld – mit Pferd und Wagen unterwegs. Toni Oppenheimer half mit im Geschäft, und nach dem Abschluss seiner Lehre stieg auch Sohn Richard in den gut gehenden Handel ein. Die Familie wirtschaftete klug: Wie in der damaligen Zeit üblich, bauten auch die Oppenheimers Kartoffeln, Getreide und Gemüse selbst an; die Manufakturwaren kaufte sie im Großhandel gemeinsam mit der Familie des Schwagers Alfred Mayer ein, sodass besonders günstige Einkaufspreise erzielt wurden. So hatten die Oppenheimers langsam ein kleines Vermögen erspart.

Ein Schlaglicht auf die Verhältnisse in Lorsch zur Zeit der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten wirft ein Vorgang aus dem Frühjahr 1934: Am 18. April erschien der Arbeiter A. K. bei der Polizei und forderte die Gendarmen auf, Leopold Oppenheimer zu verhaften; O. habe sich gemein gegen seinen, K.s, Arbeitgeber verhalten „und sich hierbei einer politischen Äußerung bedient“. Die Polizisten gingen der Sache nach und befanden, es bestehe „keine Veranlassung zur Inschutzhaftnahme des Oppenheimer“. Der Handel der Familie ging in diesen Jahren infolge der Boykottmaßnahmen stark zurück, ab 1937 war kein Gewinn mehr zu verzeichnen. Die Oppenheimers waren nun gezwungen, von ihren Ersparnissen zu leben.

In der Pogromnacht 1938 wurde die Lorscher Synagoge in den frühen Morgenstunden zuerst demoliert, dann angezündet. Wie an anderen Orten auch, achtete die Feuerwehr darauf, dass das Feuer nicht auf angrenzende Häuser übergriff. Den Schutt, der von der Synagoge übriggeblieben war, beseitigten im Auftrag der Stadt die „Vereinigten Bauunternehmer Lorsch“. Die Rechnung in Höhe von 1500 RM wurde Leopold Oppenheimer zugestellt, der sie bezahlen musste. Das entsprach der nationalsozialistischen Politik: Die jüdische Bevölkerung musste für die ihr in der Pogromnacht zugefügten Schäden selbst aufkommen. Für „die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk“ wurden Jüdinnen und Juden zudem zu einer sogenannten „Sühneleistung“, der „Judenvermögensabgabe“, herangezogen. Die in vier Raten zu zahlende Strafsteuer sollte eine Milliarde Reichsmark erbringen und wurde schließlich auf fünf Raten ausgeweitet. Der Bescheid des Finanzamtes für Leopold Oppenheimer und seine Ehefrau ist nicht erhalten. Dennoch lässt sich anhand der Akten rekonstruieren, dass das Ehepaar rund 6000 RM für die Judenvermögensabgabe bezahlte. Die Süddeutsche Bank Bensheim überwies für die Abgabe im Jahr 1939 zu Gunsten des Reichsfinanzministeriums viermal Wertpapiere aus dem Depot der Eheleute an die Preußische Staatsbank (Seehandlung). Nach dem Erlass der „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ veräußerten die Oppenheimers ein Grundstück. Auch der Erlös aus diesem Zwangsverkauf in Höhe von 1189 RM wurde für die Bezahlung der Judenvermögensabgabe des Ehepaares verwandt. Ebenfalls 1939 wurde das Paar gezwungen, seinen Schmuck abzuliefern. Die Söhne bezifferten den Wert im Rahmen des „Wiedergutmachungsverfahrens“ auf 1200 RM.

Ernst, Richard und Alfred Oppenheimer gelang die Flucht aus Deutschland. Sie haben nicht erleben müssen, dass ihr Elternhaus in der Karlstr. 1 zum „Judenhaus“ wurde: Hier lebten die Jüdinnen und Juden, die in Lorsch geblieben waren, zwangsweise auf engstem Raum zusammen. 1942 wurden sie deportiert. Das verbliebene Bankguthaben der Familie Oppenheimer „verfiel“ dem Reich; in ihr Haus, das nun vom Finanzamt verwaltet wurde, zogen Mieter ein. Die zurückgelassene Habe der letzten Lorscher Juden wurde vom Finanzamt am 19. November 1942 verkauft: Das „Reich“ nahm 811 RM ein. An Miete flossen ihm bis zum Kriegsende monatlich rund 85 RM zu.

Leopold und Antonia Rosalie Oppenheimer wurden 1944 in Auschwitz umgebracht.

Als Alfred Oppenheimer – auch im Namen seiner Brüder – 1950 „Wiedergutmachung“ für das seiner Familie angetane Unrecht verlangte, forderte er auch die Erstattung des Betrages, den seine Eltern für das Wegräumen des Schutts der Synagoge bezahlt hatten. Der Antrag wurde abgelehnt. Die Behörde schrieb: „Die jüdische Gemeinde war Eigentümerin der niedergebrannten Synagoge. Sie wurde deshalb aus dem Gesichtspunkt der Zustandshaftung heraus verpflichtet, für die Enttrümmerung des Synagogengeländes Sorge zu tragen. […] Den Antragstellern bleibt es unbenommen, sich wegen der anteiligen Kostentragung ihres Vaters an der jüdischen Gemeinde Lorsch schadlos zu halten.“

Aufruf

Geschichten wie die der Familie Oppenheimer erzählt die Ausstellung „Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933 – 1945“, die vom 6. Februar bis 14. Mai auf Einladung des Heimat- und Kulturvereins Lorsch und unter der Schirmherrschaft von Christian Engelhardt, Landrat im Kreis Bergstraße, im Museumszentrum Lorsch zu sehen sein wird.

Für die Präsentation wird die Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Rundfunks mit einem neuen, regionalen Schwerpunkt versehen: Er wird sich mit der Ausplünderung jüdischer Familien in Lorsch und Umgebung beschäftigen. Die Ausstellungsmacher rufen die Bevölkerung auf, sich an dessen Gestaltung zu beteiligen:

Sind in Ihrer Familie Gegenstände überliefert, die aus der zerstörten Lorscher Synagoge stammen oder die jüdische Familien vor der Auswanderung oder Deportation ihren Nachbarn zur Aufbewahrung übergeben haben? Besitzen Sie Briefe, Fotografien oder andere Zeugnisse, die von ehemaligen jüdischen Nachbarn erzählen? Wurden in Ihrer Familie Gegenstände vererbt, die auf öffentlichen Versteigerungen sogenannten „nicht arischen Besitzes“ erworben wurden?

Dann sprechen Sie uns bitte an:

Pfarrerin Andrea Thiemann
Vorsitzende
ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau
Jugenheimer Str. 2
64404 Bickenbach an der Bergstraße
Tel.: 06257 – 2220
Fax: 06257 – 2275
Mobil: 0151 – 23507496
E-Mail: thiemann@imdialog.org

Pfarrer Hermann Differenz
Katholische Pfarrgemeinde St. Nazarius
Römerstr. 5
64653 Lorsch
Tel.: 06251- 52332
E-Mail: Pfarramt@Nazarius-Lorsch.de

Pfarrer Renatus Keller
Ev. Kirchengemeinde Lorsch
Tel.: 06251 – 8699640
Renatus.Keller@online.de
Gemeindebüro:
Sekretärin
Ursula Adrian
Mo-Do 9.00 -12.00 Uhr
Nibelungenstraße 25, 64653 Lorsch
Tel.: 06251 – 589333
Fax.: 06251 – 589335

Thilo Figaj, Heimat- und Kulturverein Lorsch
Tel.: 06251 / 17730 (Büro) und 55968 (privat)
E-Mail: tfigaj@ladyesther.com

Gottfried Kößler, Fritz Bauer Institut
Tel.: 069 / 21249439

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