Verlegung von Stolpersteinen für die Familie Lichtenstein

Verlegung von Stolpersteinen in der Lindenstraße und in der Kirchstraße am 9. November 2023 für die Familie Lichtenstein

Familienbild, Foto Marc Kaman: Die Aufnahme entstand im Frühjahr 1936 in Lorsch in der Wohnung Lichtenstein, Lindenstraße 8. In der hinteren Reihe stehen Jakob Lichtenstein (links) und Erna Rohrheimer sowie eine unbekannte Person. Sitzend abgebildet sind Jakob Lichtensteins Schwiegervater Loeb Rosenthal (1852) aus Beerfelden mit Berta Helga, und Melita Lichtenstein mit Eva Ellen.

Zur Geschichte der Familie Lichtenstein in Lorsch

Betty Lichtenstein, Schwester von Hermann Lorch, geb. 29.11.1875 in Lorsch heiratete 1898 in Lorsch den Mehl- und Fruchthändler Baruch Lichtenstein und zog mit ihm in dessen Heimatort Groß-Umstadt. 1930 wurde das Paar geschieden. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, Jenny (1899) und Jakob (1902). Baruch Lichtenstein verstarb 1932 und ist in Groß-Umstadt begraben.

Betty wohnte seit ihrer Scheidung wieder in Lorsch, zunächst in der Rheinstraße, dann in der Schulstraße 18 bei Johanna Mainzer und zuletzt zwangsweise in der Kirchstraße 5, dem jüdischen Gemeindehaus.

Ihre Tochter Jenny Lichtenstein kam am 4.9.1940 aus Groß-Umstadt, in dem sie nach dem Tod des Vaters 1932 gelebt hatte. Die ledige Frau zog zu ihrer Mutter in die Krchstraße 5. In die Wohnung der jüdischen Gemeinde wurden einige Lorscher Juden eingewiesen, die ihre eigenen Häuser verloren hatten.

Jenny Lichtenstein wurde im März 1942 von ihrer Mutter getrennt und nach Piaski bei Lublin deportiert. Von ihr fehlt jede Spur. Betty kam im September 1942 in das so genannte Altersgetto nach Theresienstadt. Hier musste sie 1943 den Tod ihrer Schwester Hanna Marx, geb. Lorch, bezeugen, die mit ihrem Mann in Beerfelden gelebt hatte. Am 16. Mai 1944 wurde Betty Lichtenstein mit dem Transport EA 376 nach Auschwitz verbracht und dort ermordet.

Ihrem Sohn Jakob und seiner Familie gelang 1939 die Flucht nach New York. Jakob war mit der vier Jahre älteren Melita, geborene Rosenthal (1898) aus Beerfelden verheiratet. Das Paar zog nach der Geburt einer ersten Tochter (Berta Helga, 1934) nach Lorsch, wo das zweite Kind (Eva Ellen, 1936) zur Welt kam. Die Familie wohnte in der Lindenstraße 8 zur Miete. Jakob Lichtenstein war Vertreter für Musikinstrumente und arbeitete für die bekannte Firma Hohner.

Während der Novemberpogrome 1938 wurde er, wie alle anderen männlichen Juden auch, in ein Konzentrationslager verschleppt. Er war vom 12. November bis 16. Dezember in Buchenwald. Nachdem er unterschrieben hatte, dass er mit seiner Familie auswandern würde, wurde er entlassen. Tragischerweise verstarb Jakob Lichtenstein bereits 1946 in seiner Wahlheimat Amerika.

Berta Helga Kawesch lebte noch 2022 auf Long Island (New York). Auf eine Kontaktaufnahme hat sie nie reagiert. Ihre Schwester Eva Ellen Reinach besuchte Lorsch im Jahre 1981. Sie war Angestellte einer Regierungsbehörde in Washington und lebt seit ihrer Pensionierung in Maryland. Sie war sehr bewegt, als im Zuge der Stolpersteinverlegung für Erna Rohrheimer (2021, Rheinstraße 4) ein Foto ihrer Familie auftauchte, das auch sie als Baby zeigt. Erna Rohrheimer war die Cousine ihrer Mutter, von deren Existenz sie nichts wusste. Ernas Enkel hatte das Foto zur Identifizierung der Personen 2021 mit nach Lorsch gebracht. Bis auf seine Großmutter kannte er die anderen Personen auch nicht.

Die vier Stolpersteine für die Familie Jakob Lichtenstein werden in der Lindenstraße 8 um 17 Uhr verlegt. Anschließend begeben sich die Teilnehmer an der Veranstaltung auf einen Spaziergang durch die Bahnhofstraße zum Verlegeort in der Kirchstraße 5, für Betty und Jenny Lichtenstein. Der Abschluss der Veranstaltung ist wie gewohnt um 18 Uhr an der jüdischen Gedenkstätte in der Schulstraße.

Mit den Steinen für die Familie Lichtenstein finden die Stolpersteinverlegungen einen vorläufigen Abschluss. Die insgesamt 55 Steine sind repräsentativ für die erloschene Lorscher jüdische Gemeinde. Sie stehen allerdings nur für ihre Mitglieder, die zur Zeit des Nationalsozialismus in Lorsch wohnten, von hier flohen oder von hier deportiert wurden. Eine ebenso große Zahl Lorscher Juden, also Menschen die vor allem hier geboren wurden, oder lange hier lebten oder nach Lorsch heirateten, wurde von anderen Orten vertrieben oder deportiert, aus dem Inland oder aus den von den Nationalsozialisten besetzten Gebieten. Für einige gibt es an diesen Orten Stolpersteine, für viele aber noch nicht. Es ist also durchaus möglich, dass es in Zukunft noch zusätzliche Stolpersteine in Lorsch geben wird, wenn es für Lorscher Juden aus diesem Personenkreis anderen Orts keine entsprechenden Initiativen gibt.

 

Thilo Figaj, 1. Vorsitzender

Betty Lichtenstein, Kennkarte, Stadtarchiv Lorsch
Jenny Lichtenstein, Kennkarte, HKV